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Diese Frage ist nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien vor allem uns Deutschen gestellt. Die Bilder dieser Ausstellung rütteln nicht nur auf. Sie sollen auch die Frage aufwerfen, wohin der Kriegskurs der deutschen Regierung in Zukunft noch führen wird. Ist Deutschland »gutwillig, überfordert und am Ende machtlos« (Die Zeit) in den Krieg hinein geschlittert, wie viele immer noch glauben? Dagegen zeigen Dokumente der Vereinten Nationen und Berichte der internationalen Tageszeitungen bei nüchtern-sezierender Analyse ein anderes Bild als die dem Massenpublikum suggerierten PR-Wirklichkeiten. Hinter der Fassade der Menschenrechtsrhetorik hat gerade die deutsche Regierung auf eine Militärintervention und ein Protektorat im Kosovo zielstrebig hingearbeitet.

    Dies belegt ein soeben erschienenes Buch »Der Weg in den Krieg. Deutschland, die NATO und das Kosovo« anhand einer sicher noch lückenhaften aber doch bereits schlüssigen Quellenlage. Der Autor, Matthias Küntzel, versucht, die gewonnenen Kenntnisse über die Vorgeschichte dieses Krieges für eine erste verallgemeinernden Deutung dieses militärischen Konflikts nutzbar zu machen. Er meint, die Charakterisierung als eines ersten NATO-Erweiterungskrieges sei oberflächlich und greife zu kurz. Auch handele es sich nicht einfach um einen deutschen Krieg, so berechtigt das ausländische Misstrauen gegenüber der deutschen Balkanpolitik auch ist.

 

Eher wird man den Kosovo-Krieg als eine Art Doppelkrieg bezeichnen müssen, in welchem unterschiedliche Motive und Ziele in widerspruchsvoller Gemengelage koexistieren. Für Deutschland war dieser Krieg ein Sezessionskrieg. Die militärische Intervention wurde propagiert und angezettelt, um erstens dem völkischen Aufstand der UCK zum Durchbruch zu verhelfen und um zweitens auf diese Weise eine eigenständige machtpolitische Rolle in der Weltpolitik unter Beweis stellen zu können. Dies aber war nicht das Interesse der übrigen NATO-Partner.

    Die USA, Frankreich und Großbritannien haben mit ihrem Kriegsengagement auf den Impuls im deutschen Epizentrum reagiert, zugleich aber auch ihre eigenständigen Interessen verfolgt. Diese Interessenlage lässt es als gerechtfertigt erscheinen, vom ersten Neuordnungskrieg seit dem Mauerfall und dem Beginn der neuen Weltordnung zu sprechen.

    Den USA ging es darum, den eigenen Einfluss in Europa zu wahren, die weltpolitische Rolle der NATO zu stärken und den Einfluss Russlands zu schwächen. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien sollte demonstrieren, wie wenig Moskau selbst in einem traditionell russischen Einflussgebiet noch ausrichten kann. Für die USA ist dies der Präzedenzfall, um Russlands Dominanz auch in anderen Regionen, etwa am Kaspischen Meer, zu brechen oder einzudämmen. Nicht zufällig hat im Anschluss an den Kosovo-Krieg der eloquenteste Lobbyist der US-amerikanischen Interessen in der Ölregion des Kaukasus und des Kaspischen Meeres, Zbigniew Brzezinski, für die tschetschenische Sezession Partei ergriffen und dazu aufgerufen, »Druck auf Russland aus(zu)üben, damit Moskau die Kaukasusrepublik (Tschetschenien) in die Unabhängigkeit entlässt.«


Markus Wehner (mwe): Fünftausend Kämpfer wollen Grosnyj verteidigen in FAZ v. 23.11.1999


Großbritannien und Frankreich wollten sowohl die eigene militärpolitische Überlegenheit gegenüber Deutschland herausstreichen als auch den Aufbau einer von den USA unabhängigen Interventionsstreitmacht in die Wege leiten. Deutschland wiederum versicherte sich der Hilfe Frankreichs und Großbritanniens, um die Abhängigkeit von den USA so weit wie möglich abzuschütteln. Es bediente sich zugleich aber auch des State Department und des Pentagon, um die britischen und französischen Konkurrenten auszumanövrieren: Die Ausschaltung des UN-Sicherheitsrats bei der Durchsetzung des Angriffskriegs gegen Jugoslawien zielte beispielsweise nicht nur gegen die Veto-Macht Russland, sondern zugleich gegen den Machtvorsprung, den London und Paris als Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat bis zum Kosovo-Krieg genossen.

    Man wird den Kosovo-Krieg wohl auch als einen Übergangskrieg bezeichnen können, der sich in dieser Konstellation kaum je wiederholen wird. Hatte sich nicht 1944/45 bereits die Kluft zwischen den Westmächten und der Sowjetunion abgezeichnet, die dann im Kalten Krieg ihren Ausdruck fand? Wenn auch anders motiviert, so zeichnete sich auch in diesem Krieg eine Kluft ab, diesmal aber zwischen der Militärmacht der USA und deren größtem wirtschaftlichen Konkurrenten, der Europäischen Union. Heute flankiert ein mit der Erfahrung des Kosovo-Krieges begründeter Anti-Amerikanismus die Orientierung auf eine maßgeblich von Deutschland beeinflusste europäische Supermacht. Zwar wird auch die neue europäische Aufrüstung als ein Beitrag für eine global angelegte Menschenrechtsmission verkauft. Der Blick hinter die Fassade der deutschen Kosovo-Politik enthüllt jedoch ein Bild, das notwendig auch alle derzeitigen Europäisierungspläne desavouiert.

    Die erste Bedeutung des Kosovo-Krieges liegt somit darin, den Übergang der 'neuen Weltordnung' in eine neue Weltkriegs-Unordnung angezeigt zu haben. Dieser Krieg war nicht nur der Katalysator des europäischen Militarismus, sondern auch das Fanal für einen neuen globalen Interventionismus unter der Flagge eines 'ethischen Imperialismus'. Aufrüstung zur Vorbereitung weiterer bevorstehender Kriege - dies ist die heute allerorts zu vernehmende Devise, während das Reglement der Vereinten Nationen, das Kriege eigentlich verhindern und die Konfliktaustragung in diplomatische Kanäle lenken soll, ausgehöhlt und faktisch abgeschafft worden ist. (...)

    Darin aber liegt die zweite, spezifische Bedeutung des Kosovo-Krieges. Was immer die Konkurrenzinteressen und Widerspruchslagen der anderen NATO-Partner gewesen sein mögen: Im Kosovo-Krieg kulminierten sie objektiv in der kollektiven Anfeuerung einer rassistisch motivierten Sezession. (...)

    Als 'Beschleuniger der Geschichte' (Joschka Fischer) hat der Krieg gegen Jugoslawien Deutschland einen Platz an der Sonne verschafft und damit zugleich den Schattenumriss ausgeweitet, den das völkische Element der deutschen Außenpolitik auf die künftigen Entwicklungen Osteuropas wirft. Der deutsche Weg in den Krieg, der innerhalb des Landes nie wirklich umstritten war, hat außerhalb der Berliner Einflussbereiche für Irritationen gesorgt.


Matthias Küntzel: Der Weg in den Krieg. Deutschland, die NATO und das Kosovo, Berlin 2000, S.199-205

 
 
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